Am 27. Oktober 2013 lautete unsere Schlagzeile “Oda Schaefer – Ein Kreis schließt sich“ und voller Vorfreude schrieben wir über die anstehende Lesung aus Odas Werken im Münchener Lyrik Kabinett. Vielen Menschen aus Kultur und Gesellschaft ist es zu verdanken, dass wir am heutigen Tag voller Stolz auf neu publizierte Bücher der großen deutschen Lyrikerin blicken dürfen. Fast schon vergessen – nicht mehr verlegt und dann, ausgelöst durch den epischen Film “Poll”, geriet die Welt des Vergessens ins Wanken.
Wir Literatwos hatten uns seit jenem Film mit unseren Mitteln gegen das Vergessen gewehrt und mit vielen treuen Lesern an unserer Seite ist es uns gelungen, ein kleines Mosaiksteinchen in das komplexe Wandbild des Erinnerns einzufügen. Unser Blog war und ist unsere Waffe – Teamwork und Leidenschaft sind unsere Maxime und wir haben uns gerne in den Dienst einer Schriftstellerin gestellt, die wir so gerne kennengelernt hätten. Heute können wir sagen:
Oda ist wieder da – und vielleicht sogar strahlender denn je, denn auf Einladung ihres Erben und “Vize-Enkels” Titus Horst fanden sich weitere Wegbegleiter dieser literarischen Renaissance im gediegenen Ambiente und auf der Bühne des Lyrik Kabinetts ein, um mit einer stimmungsvollen Lesung das Motto der “Unvergessenen” wahr werden zu lassen:
“Immer war ich – immer werde ich sein! Immer!”
Der Saal war bis auf den letzten Platz gefüllt an jenem Montag, den 28. Oktober und 25 Jahre nach dem Tod Oda Schaefers spürten alle Anwesenden sofort, dass ihre lyrische Aura nichts von ihrem ursprünglichen und zeitlosen Zauber eingebüßt hat. Titus Horst präsentierte ein unfassbar tief angelegtes Kaleidoskop ihres Lebens – einen mehr als gelungenen und in sich geschlossenen Zyklus aus Lebenserinnerungen, flankiert durch ausgewählte Gedichte aus dem Lebenswerk der großen Autorin.
Titus Horst hatte sich an diesem Abend in die Rolle des lesenden Chronisten begeben und führte das aufmerksam lauschende Publikum mit unnachahmlicher Erzählstimme (mal Berliner Polizist; mal Oda selbst in all ihrem Hoffen und Bangen; aber dabei immer Titus selbst) in ein schillerndes Kaleidoskop eines Dichterlebens.
Er öffnete eine bisher verborgene Tür zu Oda Schaefer und ließ ihr höflich den Vortritt, wenn es darum ging, das Wort an uns zu richten. Oda war plötzlich mitten unter uns. Oda erzählte selbst, als sei Titus Horst eher Medium, denn Erzähler. Er berlinerte sich durch Haussuchungen im Dritten Reich; kindbettete sich ängstlich durch die unfassbaren Qualen einer werdenden Mutter und wurde ganz leise, als er von den letzten Monaten einer Frau berichtete, die ihm sehr am großen Herzen liegt.
Und mehr als bewegend stand er erschüttert in Horst Langes Worten am Rand einer frisch ausgehobenen Grube unter dem Zeichen des Hakenkreuzes und erschoss kaltblütig jüdische Opfer… bis sich ein zum Tode Verurteilter unerwartet umdrehte und dem Nazi-Täter in die Augen schaute, der dann sein Leben lang nur noch einen Satz zu denken vermochte: “Und da sah ich, dass das ein Mensch war”. Titus Horst hat seinen Bogen weit gespannt, Oda und ihren Ehemann Horst Lange umarmt und ihnen Raum gegeben, uns zu erklären, wie sie dachten. Tiefer geht es nicht…..
Den wichtigen Episoden ihres Lebens – den Stationen eines langen und oftmals brutalen, aber nie hoffnungslosen Weges, stellte die Schauspielerin Evelyn Plank die Gedichte von Oda Schaefer zur Seite. Die Auswahl dieser Zeilen war so treffend, dass sie sich oftmals genau in die Momente einfügten, die Titus eben noch als Lebenserinnerungen Oda Schaefers rezitierte. Viele Kreise schlossen sich an diesem Abend – auch derjenige der Einordnung mancher Zeilen aus Odas Feder.
Ich weiß nicht, wie Oda selbst gelesen hätte. Ich weiß nicht, in welchem Rhythmus sie schrieb. Ich weiß nicht, in welcher Melodie sie dachte. Ich weiß nur eines: Evelyn Plank hat mit Ausstrahlung und Stimme gezaubert, denn nur so kann – nur so muss – und sicherlich hat Oda Schafer nur so geschrieben und gefühlt. Kokett; nachdenklich; tief traurig; aufrüttelnd; vehement; laut; leise; zart; verträumt; verliebt; leidend; trauernd… All das hat man im Vortag von Evelyn Plank erfühlen können.
Evelyn Plank hat unserem Gefühl von Oda Schaefer eine Dimension verliehen, die wir bisher nicht kannten. Eine große Persönlichkeit, die in der Eindringlichkeit der eigenen Texte durch die Nuancierung des gesprochenen Wortes eine Ebene erreicht, die man erlebt haben muss. Frau Plank… sie haben ihre Zuhörer und uns an diesem Abend berührt… im wahrsten Sinne des Wortes.
Als dann die Biographin Oda Schaefers das Wort ergriff, begann der schon einzigartige Abend erneut eine sehr bedeutende Wendung zu bekommen. Dr. Monika Bächer verfasste bereits im Jahr 2005 ihre Dissertation “Oda Schaefer (1900 – 1988) – Leben und Werk“, die 2006 im Aisthesis Verlag veröffentlicht wurde. Eine Biographie, die man mit Fug und Recht als DAS Standardwerk zur Lyrikerin Oda Schaefer bezeichnen muss.
Wir haben uns bisher noch nicht mit den wissenschaftlichen Hintergründen eines Lebens beschäftigt. Wir haben keine Ahnung von der Analyse prosaischer Texte, ihrer Einordnung oder Kategorisierung und heute wissen wir, dass wir es hätten tun sollen. Unfassbar lebendig erzählte Dr. Monika Bächer aus dem Leben Oda Schaefers und ließ ihre Erkenntnisse aus umfangreichen Recherchen derart zart in diese Betrachtung einfließen, dass man niemals geglaubt hätte, dass es hier um eine Dissertation geht. So lebendig und so spannend kann Wissenschaft sein… wir haben viel gelernt.
Dr. Monika Bächer zitierte aus Odas Briefen und zeigte eine völlig neue Seite der Autorin. Sie war im direkten Kontakt unglaublich humorvoll und kokett. Sie liebte die Natur, die sich in einer großen Schaffensphase zum zentralen Element ihres Werkes entwickelte und war eine bedeutende Vertreterin der sogenannten Trostliteratur. Und zu trösten hatte Oda in Anbetracht ihrer eigenen Vita immer wieder. Nicht zuletzt sich selbst. Ein Zitat blieb mir besonders in Erinnerung. Auf die Bitte eines Verehrers, ihm doch ein Bild von sich zu überlassen, antwortete sie:
“Ein Photo schicke ich nicht.
Ich bin zu hübsch – das irritiert sie nur!”
Und natürlich waren auch wir geladen. Einfache Blogger, die in diesem erlesenen Kreis von eloquenten Lyrikern und Dichtern, Prosaliebhabern und Wissenschaftlern über unsere Annäherung an Oda Schaefer berichten sollten. Wir auf der Bühne des Lyrik Kabinetts, na wer hätte das gedacht. Diesmal war es an mir, Literatwo zu repräsentieren, aber Bianca war schon zu Beginn der Lesung telefonisch mit Titus Horst verbunden und so schloss sich auch dieser Kreis an einem besonderen Abend.
WIR haben von unserem Weg mit Oda berichtet, den man in einer eigens verfassten Chronologie sehr gut nachlesen kann. Wir haben von unseren Weggefährten berichtet, von vielen Zufällen und auch ein wenig vom Schicksal und wir haben von unseren Lesern erzählt, ohne deren Interesse eine solche Artikelserie nicht entstanden wäre. Voller Dankbarkeit haben wir über unsere Freude berichtet, wie schön es mit Oda Schaefer auf der Dresdner Schriftgut 2012 war und wir haben über unsere Gefühle erzählt, die uns durchfluten, wenn wir Odas Zeilen lesen.
Und letztlich haben wir darüber berichtet, was für uns die Relevanz von Lyrik in der heutigen Zeit ausmacht. Oda Schaefer war eine zutiefst pazifistische Autorin, die sich selbst in ihrem Leben treu geblieben ist. Die Kontinuität ihres Schaffens steht heute für ihr Lebenswerk. Und wenn wir heute im Angesicht einer Frau, die zeitlebens immer wieder schwer krank war, ihren einzigen Sohn im Krieg verlor und als Ehefrau eines schwer traumatisierten Weltkriegsopfers ihr Schicksal meisterte, die eigenen Probleme im lyrischen Licht betrachten, dann geben uns folgende Zeilen immer wieder Halt, weil Oda gezeigt hat, dass sie mit Leben gefüllt, das Leben retten können:
Immer war ich -
Immer werde ich sein
IMMER
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